Lern deinen Stress kennen – Warum der erpse Diagnostiker-Lehrgang ohne Siegfried Leder nicht komplett wäre
Stress, Überlastung, Hirn–Mund–Darm-Achse und Atmung: erpse Dozent, Zahnarzt und Mentalcoach Siegfried („Sigi“) Leder erklärt, warum wir ein neues Denken brauchen – und was Teilnehmende im Modul „Wirkung von Überlastung auf Haut, Mund, Darm, Lunge und Psyche“ erwartet. Start der Fortbildung für Gesundheitsprofis ist am 9. Januar in Winterthur. Jetzt hier informieren und anmelden.
Du bist Dozent beim Lehrgang erpse Diagnostiker – Spezialist:in für psycho-physiologische Ernährungs- und Trainingsdiagnostik und verantwortest das Modul „Wirkung von Überlastung auf Haut, Mund, Darm, Lunge und Psyche“. Worum geht es genau?
Im Prinzip geht es darum, was Stress mit dir macht – und was der Körper mit dem Stress macht. Also nicht nur: „Da ist Stress“, sondern wie dieser Stress ganz konkret auf Haut, Mund, Darm, Lunge und Psyche wirkt. Und umgekehrt: Wie reagiert der Körper, wenn Belastung chronisch wird?
Stress ist zunächst also eine Frage der Bewertung. Was bedeutet das in der Praxis?
Stress ist erst einmal relativ. Ich arbeite zum Beispiel sieben Tage in der Woche, teilweise extrem hart – 15 bis 18 Stunden. Für viele wäre das unvorstellbar. Für mich ist das auch Stress, aber entscheidend ist: Wie bewerte ich diesen Stress?
Wenn du etwas nicht als Stress bewertest, ist es keiner. Wenn du ihn nicht als Distress, sondern als Eustress siehst – also als guten Stress –, dann ist er für dich nicht problematisch. Umgekehrt kann Langeweile oder keine Wertschätzung erfahren, sich „zu nichts Nutze“ fühlen, enormer Stress sein. Einsamkeit zum Beispiel – viel Zeit, aber keine Ansprechpartner. Das ist hoher psychosozialer Stress, obwohl objektiv „wenig los“ ist.
Das spricht für eine notwendige mentale Veränderung. Was fehlt uns da?
Wir mussten unser Denken in den letzten Jahren radikal verändern – viele haben das nicht geschafft. Die Welt ist komplexer geworden, wir brauchen ein sogenanntes postformales Denken.
Heisst?
Wir müssen lernen, mit Widersprüchen umzugehen. Es geht nicht mehr mit Schwarz-Weiss-Denken. Wir brauchen eine Ambiguitätstoleranz – etwas kann richtig und gleichzeitig falsch sein, weiss und gleichzeitig schwarz. Dazu kommt: Wir haben nie gelernt, metakognitive Fähigkeiten zu entwickeln. Also über unser Denken nachzudenken – und im Zweifel noch einmal darüber nachzudenken. Wir müssten uns öfter aus uns selbst „rauszoomen“ und anschauen: Wie verhalte ich mich eigentlich? Ist das noch zeitgemäss oder eher – sagen wir – infantil? Diese fehlende Orientierung erzeugt enormen Stress. Orientierungslosigkeit ist eines der schlimmsten Dinge. Und wer uns Orientierung verspricht – egal, ob sie richtig oder falsch ist – dem laufen wir hinterher.
Woran erkennt der Profi, wenn jemand „drüber“ ist mit seinem Stress?
Schau dir den Menschen im Alltag an – und in der Nacht.
• Wie schläft er?
• Wie isst er?
• Wie viele soziale Kontakte hat er – vor allem: gute soziale Kontakte?
• Steht er morgens gerne auf?
• Ist er im Laufe des Tages zufrieden?
• Hat er Probleme mit Haut, Zähnen, Darm?
Es gibt wahnsinnig viele Parameter – fast zu viele –, um zu erkennen, ob wir mit dem Leben noch eins sind oder ob das Leben mit uns „Katz und Maus“ spielt. Genau diese Sensibilität wollen wir im Lehrgang schärfen.
Nach dem Motto: „Lern deinen eigenen Stress und den deiner Klienten kennen.“
Das Entscheidende ist: Monitoring. Wir können uns nicht merken, was vorgestern war. Viele sagen: „Ich hatte Stress und dann…“ – aber die Zusammenhänge sind verschwommen. Mein Ansatz ist ganz schlicht: Führ ein Tagebuch. Schreib auf, wie du dich fühlst, was passiert ist und bewerte zum Beispiel deinen Tag von 1 bis 10 – 1 = komplett daneben, 10 = super drauf. Meine Kursteilnehmer können das mit Technik ergänzen – HRV-Messung, Wearables, Biofeedback –, aber im Grunde braucht es kein Hightech: Ein kleines Büchlein reicht.
Wenn du dann siehst: Von sieben Tagen willst du fünfmal morgens liegen bleiben, dann würde ich mir Sorgen machen. Wenn du veränderst, was du tust – und dein Tagebuch zeigt, dass es dir besser geht – dann erkennst du Kontingenzen: „Ich habe X gemacht – mir ging es gut. Ich habe Y gemacht – mir ging es schlecht.“ Damit holst du dir ein Stück Kontrolle zurück.
Du sprichst in deinem Modul auch von der „Hirn–Mund–Darm-Achse“. Was können die Teilnehmenden lernen?
Wir haben ein völlig verqueres medizinisches Verständnis. Unsere Fachrichtungen sind extrem zersplittert: Zahnarzt, HNO, Neurologie, Gastroenterologie, Proktologie – aber wir haben nicht begriffen, dass der Körper eins ist. Ein einfaches Beispiel: Serotonin. Lange dachten wir, das sei ein klassischer „Gehirn-Transmitter“. Heute wissen wir: mehr als 80 % des Serotonins werden im Darm gebildet. Und natürlich gibt es Verbindungen zwischen Gehirn und Darm – aber sie gehen in beide Richtungen. In meinem Modul interessiert mich genau diese Ganzheitlichkeit: Wie wirkt die Ernährung? Wie beeinflussen Stress und Überlastung Darm, Haut, Mund, Lunge, Psyche? Und wie können wir das messen, behandeln und wieder messen – so, wie es im erpse-Konzept verankert ist?
Wie beeinflusst die Atmung das Stresslevel und die Überlastung?
Atmung beeinflusst das Gehirn – und das Gehirn beeinflusst die Atmung. Früher haben wir gesagt: Das Gehirn steuert die Atmung. Punkt. Heute wissen wir: Die Atmung ist halb autonom, halb willentlich – und ein enorm starkes Werkzeug. Wir können über die Atmung unsere Psyche beeinflussen. Viele Menschen können nicht einmal mehr eine stinknormale Bauchatmung. Dabei ist die Ausatemphase besonders wichtig: Sie steht für den Parasympathikus – „rest and digest“ – also Entspannung. Allein über die Atmung könntest du Menschen aus einer Stressspirale holen – wenn sie es tun. Und genau hier setzen wir im Lehrgang an: Wir erklären nicht nur die Mechanismen, wir machen sie praktisch nutzbar.
Lass uns über Stressbewältigung sprechen: Reicht Entspannung?
Es gibt 100 000 Entspannungsübungen – progressive Muskelrelaxation, Yoga, autogenes Training. Das ist alles gut, aber: Es passt nicht für jeden. Mir kommt Anspannung oft zu kurz. Für mich ist wichtig: Sport, Flow, körperliche Aktivität. Ich gehe ins Studio und schmeisse seit 40 Jahren schwere Gewichte um mich herum – danach bin ich der friedlichste Mensch der Welt. Dazu kommen Achtsamkeitsübungen. Aus der buddhistischen Lehre kennen wir MBSR – Mindfulness Based Stress Reduction. Für viele Menschen ist das praktikabler als „jetzt entspann dich mal“. Ein einfacher Tipp, den ich auch im Modul bespreche: „Wenn du mit dem Hund spazieren gehst, mach nur zwei Sachen: Du bist im Hier und Jetzt – und du wertest nichts.“ Gedanken kommen, Gedanken gehen – verscheuch sie nicht, aber häng dich auch nicht daran auf.
Wenn du dein Modul für den erpse Diagnostiker-Lehrgang in zwei Sätzen zusammenfassen müsstest – wie würden diese lauten?
„Lern deinen Stress kennen – und lern, wie dein Körper darauf reagiert.“
„Finde heraus, was du als Stress empfindest, und such Wege, genau diesen Stress herunterzufahren – auf deine Art.“
Und ja: Man muss sich dafür ein bisschen anstrengen. Aber genau dabei hilft der Diagnostiker-Lehrgang: Er gibt dir das Wissen, die Instrumente – und die Haltung, Menschen auf diesem Weg professionell zu begleiten.
Warum sollten Interessierte sich aus deiner Sicht unbedingt für den Lehrgang erpse Diagnostiker anmelden?
Weil unser bisheriges System – mit seinen getrennten Fachrichtungen und dem veralteten Denken – die Realität der Menschen nicht mehr abbildet.
Im Diagnostiker-Lehrgang lernst du, komplexe Zusammenhänge zu sehen:
• Stress, Überlastung und deren Wirkung auf Haut, Mund, Darm, Lunge, Psyche
• Hirn–Darm–Achse statt Symptom-Silo-Denken
• objektive Messung, statt Bauchgefühl
• praktische Tools wie Monitoring, Atmung, Achtsamkeit.
Kurz gesagt: Du lernst, Körper und Psyche wieder als Einheit zu verstehen – und Menschen so zu begleiten, wie es den Anforderungen unserer Zeit entspricht. Wer mit Menschen arbeitet und Überlastung wirklich begreifen und behandeln will, kommt um diese Perspektive kaum herum.
