Hilfe oder Unsinn?
Die Nutri Score-Ampel auf verpackten Lebensmitteln
Der Nutri Score ist eine freiwillige Nährwertkennzeichnung. Die Idee ist eine Veränderung des Einkaufsverhalten der Konsument:innen sowie die Optimierung der Produktzusammensetzung durch die Lebensmittelindustrie. Wählt ein Hersteller diese Deklaration, muss er alle Produkte mit dem neuen Label versehen und hat dafür 24 Monate Zeit.
Ursprünglich wurde der Nutri Score von französischen Wissenschaftlern in Frankreich 2017 entwickelt. Sein Ziel: mehr Transparenz und Vergleichbarkeit. Auf der Farbskala symbolisiert Grün eine ausgewogene Zusammensetzung der Nährstoffe, Rot eine unausgewogene.
Negative bewertet werden die Kalorien/Portion, der Zuckergehalt, gesättigte Fettsäuren und Natrium. Positiv bewertet werden Früchte, Gemüse und Hülsenfrüchte, Nüsse, Nahrungsfasern und Proteine. Es wird nicht evaluiert, ob von einem Produkt 50g oder 500g / Tag konsumiert werden.
Das Schweizer Lebensmittelrecht schreibt eine Nährwertkennzeichnung auf der Rückseite der Verpackung, mit den Makronährstoffen pro Portion oder 100g wie wir es bereits kennen, als obligatorisch vor. In der Schweiz dient die hiesige Lebensmittelpyramide bis jetzt als Basis für die Ernährungsempfehlungen, die jedoch meiner Meinung nach nichts aussagt. Sie lässt zu viel Spielraum offen, jeder kann sie auslegen, wie er möchte. Die Empfehlungen gehen weder auf Geschlecht, Alter, Aktivität, mentale Belastung und am allerwenigsten auf die unterschiedliche Physiologie ein. Was bedeuten 2 bis 3 Portionen von xy pro Tag? Bei Betty Bossy besteht eine Portion aus 70g rohen Teigwaren, im italienischen Haushalt aus 100 bis 150g rohen Teigwaren … Dies nur am Rande erwähnt.
Ein konkretes Beispiel zum neuen Nutri Score: Ein gezuckerter Eistee bekommt ein rotes E, weil er 10g Zucker/dl aufweist. Somit wird er laut Lebensmittelpyramide als ungesundes Getränk definiert. Wir wissen aus jahrelanger Erfahrung und anthropologischen Messungen an jedem Kunden, dass ein gezuckertes Getränk – zum richtigen Zeitpunkt getrunken – eine Fettreduktion an den Extremitäten bewirken kann. Der richtige Zeitpunkt, nämlich die körperliche Betätigung, was bei einer adipösen Person schon beim täglichen Spaziergang mit dem Hund sein kann, ist aufgrund der Physiologie bei jedem Menschen unterschiedlich. Dem wird das rote E nicht gerecht. Natürlich ist Eistee wiederum als Durstlöscher nicht zu empfehlen.
Ein anderes Beispiel: Weissbrot erhält ebenfalls eine rote E, weil das Mehl raffiniert ist, keine Ballaststoffe aufweist und folglich schnell resorbiert wird. Menschen mit sensiblem Darm oder entzündlichen Darmerkrankungen vertragen jedoch weniger Ballaststoffe. Oder am Beispiel von Ausdauersportler:innen: Wenn sie oder er vor dem intensiven Training schnell verwertbare Kohlenhydrate benötigt, ist Weissbrot die ideale Möglichkeit, diese zuzuführen.
Die Gretchenfrage: profitieren Endkund:innen vom Nutri Score?
Im Beratungsalltag möchten die meisten Klient:innen wissen, welche Nahrungsmittel als gesund oder ungesund gelten. Doch es geht nicht um diese Einteilung, sondern um den individuellen Körper und wie er zusammengesetzt ist. Weiterhin entscheidende Einflussparameter: Ist man mental oder physiologisch überlastet und in welchem Kontext im Leben steht man? Wie viele Nährstoffe benötigen der entsprechende Körper und Geist im normalen Alltag, in belastenden Situationen oder beim Sport? Für den einen beginnt Sport erst ab einem Marathon, für andere bereits beim Erledigen des Haushaltes. Dies alles hat Einfluss auf das Stoffwechselgeschehen und wirkt sich auf die daraus entstehende, individuelle Ernährungsempfehlung aus. Sozusagen von innen nach aussen und nicht von aussen nach Innen.
Positiv am Nutri Score finde ich, dass die Hersteller ihre Rezeptur überarbeiten und bessere Zutaten wählen oder gewisse Zusatzstoffe entfernen, was nach 3-jähriger Erfahrung des Forschungsteam hervorgeht. Nun warten wir mal gespannt, was die EU entscheidet und wie die Schweiz betreffend Nutri Score mitmachen wird.
Ebenfalls wurde gezeigt, dass ein bewussteres Einkaufsverhalten durch mehr «grüne Lebensmittel» ermöglicht wurde. Doch schlussendlich geht es um den Endkunden, den Menschen und was sein Körper an Nährstoffen benötigt. Im Ernährungsdschungel helfen dabei kompetente Ernährungsfachkräfte, die sich mit der Physiologie und Biochemie im menschlichen Körper bestens auskennen und ihre Empfehlung darauf abstützen.