Vegetarismus hat ein neues Level erreicht
Simone Fuhrmann und Jürg Hösli über aktuelle Trends
Swissveg und erpse Institut engagieren sich im Bereich vegan/vegetarische Lebensweise und Ernährung. Das erspe Institut ist bereits Swissveg card-Partner und bietet mit erpse veg, geleitet von Mrs.Veg Laura Vagliani, ein eigenes Programm. Wir haben Simone Fuhrmann, stellv. Geschäftsführerin der grössten Interessenvertretung vegetarisch und vegan lebender Menschen in der Schweiz, und Jürg Hösli, Gründer, Ernährungsdiagnostiker und Leiter des erpse Instituts, nach den aktuellen Trends, gemeinsamen Plänen und Kontroversen gefragt.
Hand aufs Herz: Veggie ist längst kein Trend mehr und erfreulicherweise im Lebensalltag angekommen. Umsatzzuwächse im Lebensmittelhandel sind Fluch und Segen zugleich. So wächst auch die Zahl der schwarzen Schafe. Wie kann der Verbraucher erkennen, wer es ernst meinst und was Etikettenschwindel ist?
Simone Fuhrmann: Wer auf Nummer sicher gehen möchte, kauft ein Produkt mit Siegel. Wir sind Lizenzgeber des V-Labels und garantieren eine unabhängige, externe Prüfung. Aber natürlich sind Grundnahrungsmittel wie Obst, Gemüse, Reis oder Linsen von Natur aus vegan. Wer also selber frisch kocht, hat den grössten Einfluss auf seine Ernährung.
Jürg Hösli: Möchte der Konsument mehr Sicherheit haben, ist es wichtig, dass er in Geschäften einkauft, welche seine Ethik und Moral vertreten. Ein Lebensmittelgeschäft muss sich zwangsläufig über Qualität und Herkunft klar sein. Dies beschreibt das Lebensmittelgesetz. Dass es dabei nicht alle gleich genau nehmen, zeigen leider sehr viele kleinere und grössere Lebensmittelskandale im in und Ausland. Der allersicherste Weg ist natürlich, wenn der Konsument beim Bauer seiner Wahl einkauft.
Was fordern sie beide von der Industrie und Politik?
Jürg Hösli: Es ist sicherlich schwierig zu sagen, wie sich die Politik heute in die Ernährung einbringen sollte. Meiner Meinung nach ist es aber wichtig, dass vor allem Nachhaltigkeit und Ökologie gefördert werden müssen. Die Industrie hat heute schon Veganer als Grossmarkt der Zukunft erkannt. So wird immer mehr im Bereich Fleischanaloga geforscht und natürlich auch versucht eine möglichst hohe Wertschöpfung in diesem Bereich irgendwann zu erreichen. Pflanzen können billiger produziert werden als Fleisch, gerade darum ist es für ist die Industrie so «wertvoll». Es wird mehr verdient werden können, die Monokulturen werden wachsen, weniger Menschen müssen beschäftig werden, was wiederum mehr Wertschöpfung bedeutet. Leider ist dies nur die negative Logik unserer aktuellen Marktwirtschaft, gerade hier müsste und die Politik dein Zeichen setzen.
Simone Fuhrmann: Die Ernährung muss zwingend in die Klimaschutzdebatte eingebracht werden. Die Politik sollte zum einen die Subventionspolitik überarbeiten und zum anderen sollten Anreize geschafft werden, damit Schweizer Bauern vermehrt auf den Anbau von Produkten setzen, die für den direkten Konsum – ohne Umweg über das Tier und ohne grosse Ressourcenverschwendung – eingesetzt werden. Wünschenswert wären unabhängige nationale Ernährungsrichtlinien unter Einbezug der Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt. Wirtschaftliche Interessen sollten nicht über der Würde und dem Wohlergehen der Tiere stehen und hier ist die Industrie in der Verpflichtung, dies zu gewährleisten.
Und was können Veggies beitragen?
Simone Fuhrmann:Veggies können wie alle anderen Konsumenten auch mit ihrer Kaufkraft die Entscheidung treffen, wen sie unterstützen möchten. Möchten sie einen Schritt weitergehen, können sie auch aktiv auf die Unternehmen zugehen und ihre Wünsche mitteilen.
Jürg Hösli: Ich denke, dass hier nicht nur Veggies gefordert sind. Wie alle sollten uns überlegen, wie wir eine möglichst nachhaltige Lebensmittelindustrie fordern und fördern können, und nicht mehr akzeptieren, dass wir mit Massenproduktion abgespeist werden. Und hier sind wir wieder bei der Lebensmittelauswahl.
Jürg, du bist selbst kein Veggie und siehst einiges durchaus auch kritisch. Was sind deine Argumente pro und contra und warum ist Vegetarismus für das erpse Institut so wichtig?
Jürg Hösli: Was ich kritisch sehe, möchte ich hier differenziert darstellen. Veganismus ist für mich keine Ernährungsform, sondern eine ethisch moralische Einstellung. Diese würde ich nie kritisieren, im Gegenteil würde ich sie bedingungslos unterstützen. Wenn Veganer oder Vegetarier zu uns in die Beratung kommen, dann vertrauen sie uns in einem gewissen Sinne ihr Leben an. Genau darum ist es unsere Pflicht, Möglichkeiten und Engpässe einer veganen und vegetarischen Ernährung zu beleuchten.
Genau dadurch aber, weil ich das Vegane oftmals hinterfragt habe, erkenne ich heute umso deutlicher, wo die Möglichkeit einer pflanzenbasierten Ernährung stecken. In meinem Alltag basiert heute jede zweite oder dritte Planung auf einer pflanzenbasierten Ernährung. Und dies, weil ich mich selbst überzeugt habe mittels der Diagnostik, dass gegenüber einer fleischlastigen Ernährung für einige Körpertypen bei Weitem überlegen ist.
Simone Fuhrmann: Meine Anmerkung dazu: Das mag auf viele sich vegan ernährende Menschen zutreffen. Es gibt jedoch auch Veganer, die ausschliesslich wegen der gesundheitlichen Vorteile zur pflanzenbasierten Ernährung gewechselt haben. Deshalb kann man Veganismus nicht nur eine ethisch-moralische Einstellung nennen, sondern es ist auch eine Ernährungsform.
erpse veg ist ein Ernährungsprogramm, das hilft, das Leistungslevel zu halten, bzw. zu steigern und vegane/vegetarische Lebensmittel mit deren Wirkung auf den Körper bewusst einsetzen zu können. Was sind die wichtigsten Kernbotschaften, die erpse vermitteln will? Wäre es denkbar, ein Swissveg-Paket anzubieten – wie müsste das ggf. ergänzt werden?
Jürg Hösli: Jeder Mensch ist anders. Jede Physiologie bedarf aber einer angepassten Ernährung. Für den einen ist die vegane Ernährung per se schon die perfekte Lösung, bei einem anderen ergeben sich deutlich mehr Engpässe. Genau hier wollen wir helfen. Wir möchten den Menschen Sicherheit geben, dass sie ihre Leistung im Alltag oder im Sport bringen können. Wir möchten, dass sie ihre moralische Grundeinstellung leben können, und helfen mit unserem Wissen von Tausenden von Messungen.
Wie stark wachsen vegane und vegetarische Lebenseinstellungen zusammen? Oder gibt es im Gegenteil dazu eine zunehmende Trennung? So oder so, was bedeutet das für Swissveg und das erpse Institut?
Simone Fuhrmann:Viele der heutigen Veganer haben sich zuvor teilweise jahrelang vegetarisch ernährt. Das eine baut auf dem anderen auf. Wir möchten dazu beitragen, dass allen Menschen bewusst ist, wie ihre Nahrung erzeugt wird und wie sie sich gesund und möglich schonend für Umwelt und Tiere ernähren können. Deshalb sprechen wir beide an.
Jürg Hösli: Ich erkenne heute eine deutlich höhere Sensibilisierung auf das Vegane. Es gibt aber ebenso viele, welche klar sagen, dass sie einige tierische Produkte weiter konsumieren möchten, weil sie diese einfach mögen. Da wir jeden Menschen in der Beratung so nehmen wir ist, steht sein Wunsch bei uns im Zentrum. Wir werden ihn also nicht in die eine oder andere Richtung drehen, sondern respektieren seine Ethik. Genau das ist ja das Credo, dass sie jedem Menschen seine eigene Ernährung ermöglichen, und ihm helfen keine Einschränkungen zu bekommen.
Swissveg fordert mindestens einen Veggie-Tag pro Woche. Das Thema ist ja nun nicht neu. Man hat den Eindruck, dass die Politik das Thema trotz guter Argumente nach wie vor nicht pusht. Davon ausgehend, dass Politiker sich Themen widmen, die eine Relevanz in der Bevölkerung haben, ist dies seltsam. Die Veggie-/Vegan-Community wächst nachweislich. Was haben Sie vor, um sich durchzusetzen?
Jürg Hösli: Die Politik würde sich und wird sich an diesem Thema den Mund verbrennen, denn der Schweizer lässt sich auf Bundesebene nicht über den Tellerrand blicken. Darum ist das vegetarische bislang kaum im Zentrum. Es ist aber sicherlich legitim, einen vegetarischen Tag zu fordern und zu fördern. Bei uns in der Schule sind jeweils alle hell begeistert, wenn wieder vegetarisch gekocht wird. Unsere Köchinnen im Strickhof Winterthur machen jeweils einen phantastischen Job.
Simone Fuhrmann: Dies ist eine etwas ältere Initiative, die vor ca. zehn Jahren startete. Wir machen weiter Aufklärungsarbeit, damit die Community weiter wächst und die Politik irgendwann diesen Druck verspürt. Aber leider sind die Wirtschaftsvertreter und die Lobbyverbände viel zu stark präsent in Bern. Wir kontaktieren die verschiedensten Stellen regelmässig, um auf das Thema aufmerksam zu machen und etwas zu bewegen.
Und wie wird/kann das erspe Insitut das unterstützen?
Simone Fuhrmann: Ihren Kunden die gesundheitlichen Vorteile einer pflanzenbasierten Ernährung näher bringen.
Jürg Hösli: Wir bauen unsere vegetarische Abteilung weiter aus. Mit der diplomierten Ernährungsberaterin Laura Vagliani haben wir einen Krankenkassen-anerkannte Ernährungsberaterin, welche diesen Bereich übernommen hat. Für uns war und ist es sehr wichtig, dass von Anfang an eine anerkannte Qualität die Basis für eine öffentliche Diskussion rund um das Thema darstellt. Wer das Interview mit Laura liest, erkennt schnell, dass wir bestens unterstützen können.
Danke für das Interview.