Zaubermittel oder gehört es auf die Dopingliste
Wie gut ist Creatine Monohydrat wirklich? Teil 2
Kraft für Muskel und Geist, weiter, höher, schneller – Massezuwächse in kürzester Zeit und noch viel mehr versprechen die Supplementhersteller von Creatine Monohydrat. Hält es tatsächlich, was es verspricht, oder ist Creatine Monohydrat womöglich sogar gesundheitsgefährdend? Ernährungswissenschaftler Jürg Hösli klärt auf …
Nebenwirkungen
Creatine Monohydrat wird allen möglichen positiven Wirkungen zum Trotz auch unterschiedliche Nebenwirkungen und Gesundheitsgefährdungen nachgesagt. Es existieren derzeit jedoch keine durch Studien gesicherten Fakten, die eine Gesundheitsgefährdung belegen würden.
Die Nebenwirkungen können klar eingegrenzt werden: Durch die zusätzliche Speicherung von Wasser bei einer Creatine Monohydrateinnahme in der Muskulatur kann das Körpergewicht um 1 bis 2kg steigen. Man sollte beachten, dass bei einer Creatine Monohydrateinnahme zusätzliche 1 bis 2 Liter pro Tag getrunken werden sollten, damit eine Dehydratation und die möglicherweise daraus folgenden Kopfschmerzen vermieden werden. Creatine Monohydrat ist aber auch ein Magnesiumräuber, weswegen es vor allem in der Ladephase zu vereinzelten Krämpfen kommen kann. Solche Krämpfe können mit einer Einnahme von 150 bis 900mg Magnesium vermieden oder zumindest vermindert werden. Ab und zu wurde von Magen-Darm-Unverträglichkeiten im Zusammenhang mit einer Creatine Monohydrateinnahme berichtet (siehe Abschnitt „Qualität auf dem Markt”).
Kontraindiziert ist Creatine Monohydrat bei Personen mit einem bestehenden Nierenleiden oder einem erhöhten Risiko für Nierenkrankheiten (z. B. Diabetes, Bluthochdruck, reduzierte Filtrationsrate der Niere). Obwohl unter hochdosierter Creatine Monohydrateinnahme potenziell zellschädigende Creatine Monohydratabbauprodukte (Methylamin, Formaldehyd) verstärkt im Urin nachzuweisen sind, wurde bisher kein erhöhtes Risiko für Erkrankungen wie Nierenleiden oder Krebs festgestellt.
Für wen ist Creatine Monohydrat sinnvoll?
Nach den bisherigen Fakten, die uns die Forschung liefert, muss man sich wohl eher fragen: Für wen ist Creatine Monohydrat denn nicht sinnvoll? Creatine Monohydrat scheint, wie erwähnt, nach Allheilmittel zu tönen – wie einst Quecksilber im Mittelalter.
Wir dürfen der heutigen Forschung bei weitem sicher mehr vertrauen als der Alchemie von vor 400 Jahren. Dennoch müssen wir bei der Beantwortung der Frage, wer Creatine Monohydrat anwenden sollte, sicher den gesunden Menschenverstand einschalten.
Für einen gesunden Menschen, der zwischendurch ein bisschen müde ist, ist Creatine Monohydrat ebenso wenig zu empfehlen wie für einen Menschen mit 50 kg Übergewicht, der auf dem Fahrrad seine Basisausdauer erarbeitet. Gerade der Fokus eines Sporttreibenden in einem Fitnesscenter sollte nicht auf einem Produkt liegen, sondern bei sich und seinem Ziel.
Folgendes Beispiel zeigt die Möglichkeiten von Creatine Monohydrat deutlicher auf: Wir benutzen keine Sonnencreme, wenn draussen die Sonne kaum scheint. Wir schützen uns dann vor den schädlichen UV-Strahlen, wenn die Belastung unseres Körpers sehr gross wird. In diesem Beispiel lässt sich auch die Anwendung von Creatine Monohydrat verstehen. Creatine Monohydrat bietet uns einen Schutz vor grosser oder übermässiger Belastung und lässt uns schneller regenerieren.
Persönlich gebe ich einem Medizinstudent:innen vor der Prüfung ebenso Creatine Monohydrat wie Vegetarier:innen, Leistungssportler:innen im Kraftaufbau oder Patient:innen im Spital vor der Operation. Bei allen Beispielen steht eine grosse Belastung für den Körper bevor oder Creatine Monohydrat wird zu wenig aufgenommen. Creatine Monohydrat hilft diesen Menschen, sich vor einer Überlastung besser zu schützen.
Ein paar Beispiele mit empfohlener Dosierung
Medizinstudent:in
In einer Studie konnte gezeigt werden, dass bei Personen mit einer Dosierung von 8 g Creatine Monohydrat über 15 Tage verteilt und danach 2 bis 4g täglich (ohne Wochenendtage) die Energieversorgung des Hirns verbessert wurde, die Testpersonen eine deutlich verbesserte Merkleistung hatten und verringerte geistige Ermüdung zeigten. Nebenwirkungen konnten keine festgestellt werden.
Vegetarier:in
In einer australischen Studie konnte gezeigt werden, dass Vegetarier:innen, die weder Fleisch noch Fisch essen, durch eine Creatine Monohydrateinnahme von täglich 5g eine deutliche Steigerung sowohl der Intelligenz wie auch der Leistung des Arbeitsgedächtnisses erreichen konnten.
Die Person vor operativem Eingriff (gleiche Einnahme wie Medizinstudent:in)
In einer weiteren Studie wurde nachgewiesen, dass bei Patient:innen, welche durch einen operativen Eingriff teilweise bewegungsunfähig waren, der Muskelverlust durch Creatine Monohydrat zwar nicht verhindert werden konnte, die Kraft- und Muskelumfangzunahme danach aber deutlich besser waren. Hier bedenke man zudem die volkswirtschaftlichen Auswirkungen, wenn Patienten schneller wieder aus dem Spital sind, schneller wieder arbeiten können und wahrscheinlich auch weniger Medikamente brauchen würden.
Sportler:in beim Muskelaufbau
Im Spitzensportbereich gibt es verschiedene Einnahmeschemata, welche propagiert werden. Das Bundesamt für Gesundheit schreibt den Supplementherstellern folgenden Beschrieb auf den Dosen vor: bis 20 g während 7 Tagen und danach 2 bis 4g. Diese Einnahme hat eine sehr schnelle Leistungssteigerung, jedoch die Senkung der körpereigenen Creatine Monohydratsynthese zur Folge. Die enorme Kraftzunahme innerhalb von ein bis zwei Wochen darf bei vielen Sporttreibenden gerade in einem Fitnesscenter kritisch hinterfragt werden. Die entscheidende Frage: Ist der passive Bewegungsapparat des Sportlers für solche Kraftzuwächse genügend ausgebildet?
Mit unseren Leistungssportlern haben wir versucht, die oben unter „Medizinstudent:in“ beschriebene Einnahme in den letzten 5 bis 7 Jahren zu adaptieren. Die Resultate sind bemerkenswert und wären Inhalt einer möglichen Studie, diese Anwendung auf Fitnesssportler:innen auszudehnen.
Qualität auf dem Markt
Die im heutigen Handel vorkommenden Produkte variieren in der Qualität sehr stark. Gerade im Internethandel werden immer wieder „Schnäppchen“ angeboten. Der Unterschied ist bedingt durch die Herkunft und Reinheit der Rohstoffe. Die Creatine Monohydratproduktion beim Marktführer Degussa® bringt ein hochgereinigtes Creatine Monohydrat ohne Verunreinigungen mit dem Markennamen Creapure® hervor. Die meisten Billigrohstoffe aus China enthalten oftmals Schwermetalle und andere toxische Verunreinigungen, welche zu schweren Magen-Darm-Beschwerden führen können. Die Frage nach der Herkunft des Rohstoffes ist also eine Gesundheitssache. Der Rohstoff sollte HPLC (high performance liquid chromatography)-reines Creatine Monohydrat sein.
Ein Billig-Creatine Monohydrat aus dem chinesischen Raum ist bis zu 4 Mal günstiger als der Degussa®-Rohstoff Creapure®. Die Online-Händler, die vor allem im deutschen Raum 1kg Creatine Monohydrat zu 9,99 Euro verkaufen, spielen ein gefährliches Spiel mit der Gesundheit des Konsumenten.
Kampf um Patente
Im Jahr 1995 liess die Firma Degussa® das Patent für Creatine Monohydrat eintragen. Durch die Bewilligung von Creatine Monohydrat in vielen Staaten als Nahrungsergänzungsmittel war die grosse Abnahme von Creatine Monohydrat gesichert. Eine findige amerikanische Firma umging nun dieses Patent, weil der pH-Wert von Creatine Monohydrat beim Degussa®-Patent beschränkt ist. Die Firma mischte es mit Natriumbicarbonat (Backpulver) und nannte es neu gepuffertes Creatine Monohydrat mit hohem pH-Wert oder Krealkalyne®. Andere neue Formen wie Creatine Monohydratethylester wollen das ursprüngliche Degussa®-Patent ebenfalls umgehen
Fazit
Wer Creatine Monohydrat entweder selbst nimmt oder Kund:innen verkauft, muss kein schlechtes Gewissen haben, wie es zahlreiche Ärzt:innen oder Ernährungsberater:innen leider immer noch weismachen wollen. Würden wir Creatine Monohydrat in unseren Spitälern, bei Demenzkranken usw. breiter einsetzen, könnten wahrscheinlich Milliarden im Gesundheitswesen eingespart werden und volkswirtschaftlich würde es einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss haben.
Aus dem Fitnessbereich ist das Creatine Monohydrat nicht mehr wegzudenken. Und seine Bedeutung wird sicher noch steigen. Wir haben immer mehr ältere Menschen in den Fitnesscentern, die auf die positiven Eigenschaften aufmerksam geworden sind und sich informieren.